Sehr geehrter Herr Wagner,

es ist schwer immer auf der Höhe des rasanten technischen Fortschritts zu bleiben. Dafür haben wir vollstes Verständnis. Weniger Verständnis haben wir hingegen für ihre Sicht auf unsere Demokratie. Aber immer der Reihe nach:

In einer Pressemitteilung vom 6. März bezeichnen Sie die Ratssitzung als „Muppet Show“. Das erinnert stark an das Wort „Quatschbude“ mit dem Deutsche Parlamente in sehr finsteren Zeiten der Deutschen Geschichte bedacht wurden. Nicht nur deshalb ist ihr Vergleich gelinde gesagt unglücklich. Ihre Argumentation gegen ein Live-Streaming fußt auf ihrer Vermutung, dass sich niemand für kommunalpolitische Versammlungen interessiert. Wenn Sie dieser Meinung sind, sollten Sie sich vielleicht besser nicht kommunalpolitisch engagieren. Unzählige Besucher auf der Tribüne bei Ausschuss- und Ratssitzungen beweisen übrigens das Gegenteil. Kommen Sie doch auch mal vorbei.

Die Entscheidungen im Stadtrat betreffen die Bürger oft sehr direkt. Etwa bei den Themen Kindergartengebühren, Schließung/Errichtung von Schulen, oder der Grundsteuer – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. In den Medien ist die Kommunalpolitik aber wenig präsent. Dennoch wollen sich die Wähler ja eine Meinung zur Arbeit ihrer Lokalpolitiker bilden können. Dafür müssen sie an alle Unterlagen kommen, die den Stadträtinnen und Stadträten vorliegen und dafür müssen sie auch die Diskussionen und Abstimmungen verfolgen können. Das ganze nennt man Transparenz. Vielleicht haben sie davon schon mal gehört. Es ist eine wichtige Forderung, die unsere Demokratie besser macht. Zum ersten Mal haben die Jugendorganisationen aller Neusser Parteien deshalb einen gemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht. Darin wird unter anderem jenes Live-Streaming gefordert, gegen das Sie sich aussprechen.

Für viele Leute ist es nämlich mühsam extra zur Ratssitzung zu fahren. Vor allem wenn sie nur an einem Tagesordnungspunkt interessiert sind. Die öffentlich einsehbaren Protokolle geben den Diskussionsverlauf leider nur grob wieder. Hier ist das Live-Streaming eine sinnvolle Ergänzung. Übrigens gibt es ein solches Live-Streaming bereits in einigen Städten in NRW – mit großem Erfolg: In Bonn verfolgen zum Beispiel durchschnittlich etwa 200 bis 300 Personen die Ratssitzungen. Auch Bundestags- und Landtags-Sitzungen werden bereits seit Jahren via Live-Stream übertragen.

Kommen wir also zu den technischen Aspekten. Dazu schreiben sie in ihrer Pressemitteilung: „Wer allen Ernstes (sic) schaut sich eine kommunalpolitische Versammlung über mehrere Stunden im Fernseher (sic) an?“ Hier liegt offensichtlich ein Missverständnis vor. Am 6. Oktober 1953 war erstmals eine Sitzung des Deutschen Bundestags im Fernsehen zu sehen. Seitdem kann man die Plenardebatten zum Beispiel bei Phoenix am Fernseher verfolgen.

Ganz so weitgehend ist der Vorschlag von Jusos, Grüner Jugend, Junger Union, Jungen Liberalen und Piraten aber nicht. Bei einem Live-Streaming wird das Video-Signal lediglich live über das Internet übertragen. Man öffnet diesen also in seinem Browser auf dem heimischen PC und nicht auf dem Fernseher. Technische Details wollen wir Ihnen ersparen. Wenn Ihnen die oben genannten Begriffe schon zu kompliziert sind, empfehlen wir Ihnen dringend die Kurse „Basiswissen am PC – für Anfänger“ oder „Der PC – das unbekannte Wesen“ der Volkshochschule. Falls Ihre Aussage, es müsse nicht alles gut sein was dem “Zeitgeist“ entspricht, auf das Internet abzielt, so versichern wir Ihnen: Dieses Internet wird sich durchsetzten. Ganz sicher!

Neben den technischen Details und dem angeblichen Desinteresse der Bürger sprechen laut Ihrer Argumentation auch die hohen Kosten gegen ein Live-Streaming. Diese Sorge teilen wir noch am ehesten. Die in den Medien genannten 24.000 Euro für acht Ratssitzungen sind tatsächlich sehr teuer – zu teuer. Allerdings können Sie der Verwaltungsvorlage entnehmen, dass dies nur das Angebot der ITK Rheinland ist und private Anbieter zum Teil deutlich günstiger wären. Außerdem würde demnach auch ein Live-Stream in Nachbarstädten des Kreis Neuss die Kosten der ITK durch Synergie-Effekte erheblich senken. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass die Kosten des Live-Streams nicht einmal annähernd bei 24.000 Euro liegen werden. Auch das zeigen nämlich die Erfahrungen aus anderen Städten. Die Stadt Bonn musste etwa 5000 Euro für Hard- und Sofwarebeschaffung ausgeben, mehr nicht. Die Stadt Jena zahlt sogar nur 350 Euro pro Sitzung – dort allerdings tatsächlich mit Unterstützung eines lokalen Fernsehsenders. Das alles können Sie der Verwaltungsvorlage entnehmen, die dank des Internets jeder Bürger einsehen kann. Wir bitten Sie, sich diese nochmal gut durchzulesen, bevor Sie sich das nächste Mal unwissend zu Wort melden.

Fassen wir zusammen: Sie haben sich abfällig gegenüber unserer Demokratie geäußert, gezeigt, dass Sie wenig Ahnung von der technischen Umsetzung eines Live-Streams haben und Verwaltungsvorlagen nicht lesen. Was erfreut uns daran? Die Antwort darauf ist einfach: Sie können mehr Transparenz für die Bürger nicht verhindern. Denn Sie sind ja nicht im Stadtrat vertreten. Und wenn Sie so weiter machen, wird sich daran auch nichts ändern.

Mit freundlichen Grüßen,

Jusos Neuss

 

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